Jetzt lernen Kinder Anne kennen

VOERDE. Auf den ersten Blick ein harmloser Kindervers: „Eene, meene, manne, kennst du Anne? Eene, eene, maus, Anne Ist raus!“ So heißt das Vorlese-, Lese- und Malbuch, mit dem der Deutsch-Leistungskurs 13 des Gymnasiums Voerde nach monatelanger Arbeit gestern in die Öffentlichkeit ging. Der Titel wurde bewußt gewählt: Einerseits sollte der Abzählvers fünf- bis zehnjährige Kinder ansprechen, andererseits aber auch die Ausgrenzung der Hauptfigur signalisieren. Anne, das ist Anne Frank, die kleine Jüdin, deren Schicksal und erschütterndes Tagebuch inzwischen Generationen angesprochen hat. Nur Kinder noch nicht. Diese Zielgruppe fehlte bislang in jeglichem Material, das es über das Kind Anne Frank und dessen schlimmen Erfahrungen mit dem Dritten Reich gibt. Bis gestern.

Da stellte die Schüler-Projektguppe, bestehend aus Gabriele Appelt, Yvonne Covelli, Kerstin Franke, Martina Isselhorst, Tanja Kupfer, Christian Lambrecht, Christian Müller, Britta Schmitz, Sandra Schönfelder, Claudia Siefert, Inga Christine Straten, Angelika Theis, Thorsten Vohwinkel, Sabine Wagner und ihrem Lehrer Rüdiger Gollnick, ihr Büchlein in der Aula des Gymnasiums Voerde vor. Ein kurzes Szenenspiel aus dem Inhalt bewies, daß die Arbeit der jungen Leute auch für die Bühne geeignet ist. Dias aus Amsterdam zeigten, wo Anne Frank gelebt hat, und wo sich die Schüler auf die Spuren ihrer Vergangenheit begaben. Und dann wurde ausgepackt: 180 Kinder der Elisabethschule Friedrichsfeld und des St. Elisabeth Kindergartens erhielten als erste die druckfrischen Ausgaben des fertiggestellten Büchleins. Ein weiterer Teil der Auflage wurde dann Ronald Bal von der Anne-Frank-Stiftung überreicht, der Aufgaben und Arbeit der Stiftung in Amsterdam später vorstellte.

Den 50. Jahrestag des Einmarsches deutscher Truppen in die Niederlande nahm der Deutsch-Leistungskurs mit Beginn des letzten Schuljahres zum Anlaß, die Literaturauswahl für den Kurs unter das Leitthema „Menschen in Ausnahmesituationen“ zu stellen. Der Bezug zu den Niederlanden war mit Anne Frank, die als Vierjährige mit ihrer Familie nach Amsterdam emigrierte, rasch hergestellt. Um auch praktisch darauf hinzuarbeiten, verbrachten die Schüler einen dreitägigen Studienaufenthalt in Amsterdam, arbeitete hart im Anne-Frank-Haus und im Archiv der gleichnamigen Stiftung und kamen nach Durchsicht der maßgeblichen deutschsprachigen Literatur zum weiteren Konzept, ein Kinderbüchlein zu entwickeln.

Daß diese Idee bei der Anne-Frank-Stiftung offene Ohren fand, war weitere Motivation für die Schüler und ihren Lehrer, die nun daran gingen, die Alltagssituationen im Leben des kleinen Mädchens Anne vor und während der Besetzung in kindgemäße Sprache und Denkstrukturen umzusetzen. Was spielte Anne damals, wie ging sie mit ihren Freundinnen um, wie war es in der Schule, wie verkraftete sie das Tragen des gelben Sterns, und daß ihr Lieblingseismann plötzlich nicht mehr an Juden verkaufte oder das Verbot, in die Badeanstalt zu gehen? Schließlich konnte Kunsterzieherin Barbara Grimm für die Illustration gewonnen werden, und als dann auch noch Leseproben vor rund 180 Kindern Erfolg hatten, stand fest: Das Experiment war gelungen.

Nun ging es um drucktechnische, verlegerische und buchhändlerische Aspekte, die Gollnick seinen Schülern aufzeigte, um dem Projekt einen rundherum paxisnahen Bezug zu geben. Er war es auch, der Gespräche in Amsterdam und mit dem Anne-Frank-Fond in Basel führte und sich auf die Suche nach Sponsoren machte, um eine Publikation ermöglichen und finanzieren zu können. Mit Erfolg!

Nun liegt das Büchlein in hoher Auflage vor, von der ein Drittel bereits vergriffen ist. Großzügige Spenden vor allem der Sparkasse Dinslaken-Voerde, Babcocks, Hoogovens und von Buchhändlerin Haibach ermöglichten sogar auch noch eine Fassung in englischer Sprache. Ein Teil der Auflage wird der Amsterdamer Stiftung für das Anne-Frank-Haus kostenlos zur Verfügung gestellt, darunter auch Exemplare in niederländischer Sprache, die noch in Arbeit sind.

Jutta Strauch