Mann, märchenhaft

Hans-Peter Fischer beleuchtet den Einfluss Fontanes und Andersen im Frühwerk des Buddenbrooks-Autoren

Von Bettina Schack

Dinslaken. Auch in der Wissenschaft kann man Strömungen und allgemein für gut und richtig befundenen Überzeugungen folgen oder gegen den Strom schwimmen, Überliefertes hinterfragen, der Materie noch einmal auf eigener Faust auf den Grund gehen und so zu ganz neuen Erkenntnissen über vermeintlich Altbekanntes oder Gesichertes gelangen. Hans-Peter Fischer gehört zu denen, die sich lieber ein eigenes Bild von den Dingen machen, an Oberflächen kratzen und auch mal quer denken. Das hat der ehemalige Gymnasiallehrer über viele Jahre in seiner eigenen politischen Kabarettgruppe getan. Und das macht er seit 15 Jahren ganz ernsthaft und akribisch in seiner Disziplin, der Neugermanistik und Literaturwissenschaft.

Man darf mit Fug und Recht behaupten, das Fischer mit seinen Veröffentlichungen die Fontane-Forschung aufmischt. Und nicht nur die. Zwar bleibt er in seiner neuesten Veröffentlichung im Verlag Königshauses und Neumann dem Autoren der „Effi Briest“ und den „Irrungen, Wirrungen treu“. Aber der Untertitel und die Illustration aus der Feder von Barbara Grimm rücken einen anderen deutschen Schriftsteller und dessen Frühwerk in den Fokus: Thomas Mann und dessen „Der kleine Herr Friedemann & Buddenbrooks“.

Beschäftigung mit Fontane

Der Titel des Buches: „Der alte Fontane macht Geschichten“. Ein Wortspiel mit einem Thomas-Mann-Zitat. Und ein nur auf den ersten Blick überraschender Hinweis auf das, was die Leser des 270 Seiten starken Bandes erwartet. Hans-Peter Fischer schlüsselt Parallelen zwischen dem Frühwerk Manns, den Romanen von Fontane und – als Ursprung von allem – den Märchen von Hans Christian Andersen auf. Zusammenhänge, die Michael Maar schon vor 20 Jahren in „Geister und Kunst – Neues aus dem Zauberberg“ anreißt und die dort das Interesse Hans-Peter Fischers weckten.

„Ich habe Mahr mehrfach getroffen und ihn auch darauf angesprochen. Aber er tat es ab, er wollte sich nicht weiter mit Fontane beschäftigen“, so Fischer. Noch heute klingt aus seinen Worten Verwunderung. Doch genau diese Reaktion führte dazu, dass sich der Dinslakener selber der Materie annahm. Das Ergebnis bislang: Mehrere Publikationen zu Fontane. Zuletzt das Buch „Okkuli, da kommen sie“, nun „Notizen zu Thomas Mann“.

Thomas Mann habe bekanntermaßen Hans-Christian Andersen verehrt und über Theodor Fontane gesagt, er sei bei ihm „in die Schule gegangen“. Maar entdeckte die Parallelen zwischen Manns Romanfiguren und den Märchengestalten Andersens, aber Fontane sei in dieser Konstellation von der Forschung bislang ignoriert worden, so Fischer: „Ein Grundfehler“. Der Dinslaken er spürte den Vorbildern aus Andersens Feder in den Romanfiguren Fontanes nach, veröffentlichte seine Ergebnisse. Nun baut er darauf auf, um nachzuweisen, dass der junge Thomas Mann sich Fontanes Methode bediente, ebenfalls die Märchenfiguren in die realitätsnahen Gesellschaftsschilderungen seiner Romane zu transformieren.

„Der alte Fontane macht Geschichten“: Ein Sachbuch, ganz sicherlich. Aber auch ein Buch, das man gerne in die Hand nimmt, um darin zu blättern. 11 Illustrationen schuf Barbara Grimm für die Publikation, lavierte Tuschezeichnungen, die den unglücklichen Friedemann, die Familie Buddenbrook und auch die „Märchenstunde“ von Nabokov lebendig werden lassen.

Hans Peter Fischer, „Der alte Fontane macht Geschichten“, ist für 38 Euro ab 1. September im Buchhandel erhältlich.

Erinnerung an Dieter G. Eberl

Auch das gehört zu diesem Buch: Dieter G. Ebert, der auch über viele Jahre für die NRZ schrieb, verstarb im letzten Jahr. Doch bis zuletzt, so erinnert sich Fischer, habe er mit ihm über Fontane und Mann diskutiert, mit seinen Einschätzungen und Anregungen seinen Anteil am Fortgang von Fischers Arbeit gehabt. Fischer hat ihm das Buch gewidmet: „Die Widmung geschah nicht ohne ein Zeichen der Dankbarkeit“.

Der originale Zeitungsartikel