Wo Beuys den Hut abnahm

Familie Hülsermann, Verwandtschaft von Joseph Beuys, lebt in Spellen. Erinnerungen an den Künstler privat

Von Bettina Schack

Voerde. Der Bentley hält schräg gegenüber der Kirche in Spellen. Ein Mann steigt aus, geht ins Wohnhaus des Haushaltwarengeschäfts an der Ecke und nimmt seinen Hut ab. „Der Joseph ist wieder da“. Wie so oft, wenn er es einrichten kann, „einfach um abzuschalten“, wie sich Anna Hülsermann erinnert. Denn sobald der Mann seinen Hut wieder aufsetzt, verschmelzen Mensch und Erscheinungsbild zu einem der bekanntesten – und polarisierendsten Künstlerpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts. Joseph Beuys (1921–1986), Schöpfer der Fettecke, Akademieprofessor in Düsseldorf, ein Vordenker, der den Kunstbegriff zum „Jeder Mensch ist ein Künstler“ erweiterte und der sich mit den Grüne für Umweltthemen engagierte. In Spellen war er einfach nur der Joseph. Der Cousin von Norbert Hülsermann.

Als Beuys noch lebte, wurde auf dem Grundstück der Hülsermanns auch noch geschmiedet, wenn auch schon nicht mehr dort, wo Anna Hülsermann, Tochter Gudrun und Schwiegersohn Wolfgang und die Enkel Stina und Michel am Wohnzimmertisch zusammensitzen, um die Erinnerungen an Joseph Beuys lebendig werden zu lassen. Wie er zum Beispiel mit Norbert zusammen seine Spaten-Objekte schmiedete, eine der seltenen Gelegenheiten, dass Kunst zwischen den Cousins überhaupt ein Thema war. Auch wenn es auch in Spellen nicht ganz ohne die typischen Geschichten geht. Wie sich Beuys zum Beispiel von Schreiner Max Gockel eine Kiste anfertigen ließ. „Ganz akkurat“, so Anna Hülsermann. Um sie dann mit Teer zu bepinseln und auf dem ungepflasterten Hof durch den Dreck zu ziehen. „So weit die Akkuratesse“.

Doch solche Erinnerungen bleiben eher die Ausnahme. Andere Bilder blieben haften: Beuys mit dem Hut in der Hand am Grab der Oma. Beuys am Straßenrand, während sein Cousin mit den Schützen durchs Dorf zieht. Joseph Beuys und seine Frau Eva Wurmbach am Küchentisch. „Er war ein ganz angenehmer Mensch“, so Anna Hülsermann. „Hat sich in der Familie so gegeben, wie man ist. Nicht stolz, nicht eingebildet. Er hat auch nur über Privates gesprochen“. Und manchmal über Politik. Norbert Hülsermann sorgte sich, wenn sein Cousin „so aneckte“. „Das ist die beste Reklame“, habe er geantwortet, erinnert sich Anna Hülsermann.

Ein Anzug zur Hochzeit

Ein Anzug zur Hochzeit Als Beuys 1955 nach dem Scheitern einer Verlobung eine seelische Krise durchlebte, hätte ihm sein Cousin beigestanden, so Anna Hülsermann. Als Beuys aus der Schwermut heraus diesem sein ganzes Frühwerk geben wollte, lehnte er ab. Ein Angebot, das die Brüder van der Grinten annahmen, wie die Hülsermanns heute berichten. Was Norbert Hülsermann gerne als Geschenk akzeptierte, war ein schwarzer Hochzeitsanzug. „Ich habe ihn einmal getragen und ich werde ihn nicht mehr anziehen“, so der Mann, der mit einer Fischerweste berühmt wurde. Sein Cousin trug den Anzug 1963 bei der Hochzeit mit Anna.

Diese kramt in alten Familienfotos. Aber wie das so ist, wenn jemand selbstverständlich dazugehört, es finden sich keine Souvenirs. Den Anzug lieh sich mal jemand für den Spellener Karneval aus, seitdem verliert sich seine Spur.

Von Michel gibt es ein aktuelles Foto: Der Junge neben Beuys – bei Madame Tussaud’s in Berlin. Und Stina wandelte als Vierjährige auf Beuys Spuren: Nach einem Besuch in Moyland schraubte sie ein Spielzeugauto und zwei Kaninchenpfoten auf eine Holzplatte.